„Wir lieben die Zeitung – sie ist voller Demokratie“
Premiere der AG Chefredaktionen im BDZV: Austausch und Aufbruchstimmung im Lensing Media Port Dortmund
Neugier auf neue Ansätze im Journalismus und die Bereitschaft zum offenen Austausch - das war am 25. März deutlich zu spüren. Rund 70 Chefredakteurinnen und Chefredakteure kamen zur Premiere der neuen BDZV-Arbeitsgruppe Chefredaktionen in Dortmund zusammen. Gastgeber war Lensing Media im nagelneuen und hochmodernen Verlagsgebäude direkt am Dortmunder Hafen – ein „Hochleistungszentrum für Kreativität“, wie Verleger Lambert Lensing-Wolff, gleichzeitig BDZV-Vorstand für das Ressort Journalismus, es nannte.
Das Treffen war mehr als ein formaler Start: Es war ein gutes Signal für Austausch auf Augenhöhe und die Bereitschaft, voneinander zu lernen. „Wer sich vernetzt, profitiert“, so Lensing-Wolff. In seinem Plädoyer für lebendigen Lokaljournalismus erinnerte er an die zentrale Rolle der Medien für die Demokratie – und an die Bedrohungen durch Vertrauensverlust und digitale Machtkonzentrationen.
Ein passender Zeitpunkt: Während in Berlin der neue Bundestag zusammentrat, diskutierten in Dortmund Spitzen der deutschen Redaktionen mit prominenten Gästen wie NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst, MdL über die Verantwortung von Politik und Presse. Wüst warnte vor dem Sog der Polarisierung und appellierte eindringlich: „Widerstehen Sie dem Druck. Bewahren Sie Ihre journalistischen Maßstäbe. Differenzieren Sie.“
In einer Zeit, in der Social Media den Ton verschärft und KI-Systeme sich beliebig journalistischer Inhalte bedienen, brauche es dringend klare politische Weichenstellungen, so Lensing-Wolff. „In keinem anderen Bereich würden wir eine Machtkonzentration zulassen, wie wir sie in der digitalen Öffentlichkeit erleben. Gleichzeitig zahlen die US-Konzerne nicht einmal angemessene Steuern bei uns, beuten aber die geistigen Leistungen unserer Branche ungehemmt aus.“
Die Botschaft war eindeutig: Qualitätsjournalismus ist nötiger denn je – und muss sich gleichzeitig neu erfinden. Wie das gelingen kann, zeigten die zahlreichen Impulse der Referentinnen und Referenten.
Einen faszinierenden Blick über den Tellerrand bot Greg Piechota, Head Researcher der INMA. Seine Diagnose: „We live in the era of liquid content.“ Menschen konsumieren Inhalte zunehmend unabhängig vom Format – ob Text, Audio, Video oder interaktiv. Erfolgreiche Medienhäuser müssten alle Formate bedienen – und dürfen sich nicht davor scheuen, mit Creators, Podcastern oder TikTokern zusammenzuarbeiten. Und: „News is not journalism“. Die reine News sei vielmehr wie ein rohes Ei: Ohne die richtige Zubereitung sind beide unbekömmlich. Erst guter Journalismus mache aus Nachrichten ein Produkt, das dem Publikum schmeckt.
Katja Fleischmann, Head of DRIVE bei der dpa, stellte klar: „Wer aufhört, an der digitalen Transformation zu arbeiten, verliert den Kontakt zum Publikum.“ Die Orientierung an User Needs sei entscheidend für den Aboerfolg. Ihre Erfolgsformel für 2025: Retention, Community, KI – und mehr Diversität.
Wie ein neues journalistisches Format den Markt verändert, zeigte Michael Bröcker, Chefredakteur bei Table Media. Das Briefing – präzise, kuratiert, tief – sei auf Entscheider zugeschnitten. „Vermeide Ideologie und Geschwafel. Du darfst die Zeit deines Lesers nicht verschwenden“, so Bröker. Statt breiter Themenvielfalt gehe es um Expertise und Relevanz. Er motivierte: „Trauen Sie sich an lokale Briefings – testen Sie es zwei Jahre. Dann wissen Sie ob’s funktioniert.“
Oliver Haustein-Teßmer (NPG Digital) beantwortete die wohl drängendste Frage vieler Teilnehmer: Wo kann KI sinnvoll im Lokaljournalismus eingesetzt werden – und wo nicht? Seine Antwort war differenziert: Interviews, persönliche Gespräche, Dialog mit der lokalen Community – das bleibt Menschensache. Aber bei Produktionsprozessen, Personalisierung, Übersetzung in Leichte Sprache oder Archivarbeit bietet KI echte Vorteile. Sein Appell: „Sprechen Sie offen über KI-Einsatz. Vermeiden Sie intransparente Prozesse.“
John Kvadsheim von Amedia, Norwegens größtem Regionalzeitungsverlag, berichtete eindrucksvoll von der erfolgreichen digitalen Transformation seines Hauses. Weniger Printtage, aber stärkere digitale Verbindungen – das sei der Schlüssel gewesen. Es gehe nicht um weniger Journalismus, sondern um besseren. Wichtigstes Learning: „What we produced most of was the least read.“ Stattdessen fokussiere man sich heute auf das, was Leserinnen und Leser wirklich interessiert – dazu zählen unter anderem auch lokale Sport-Livestreams.
Emotional wurde es in der Diskussion zum Thema Pressefreiheit unter Druck. Jan Hollitzer (Chefredakteur Thüringer Allgemeine) und Tobias Korenke (Leiter Corporate and Public Affairs, Funke Mediengruppe) berichteten offen, welchen Anfeindungen Journalistinnen und Journalisten ausgesetzt sind und wie sie das persönlich und in ihrer Arbeit behindert. Sicherheitskonzepte, psychologische Unterstützung und überarbeitete Leitlinien im Umgang mit Extremismus gehören inzwischen zum Redaktionsalltag. „Die Frage, wie wir mit extremen und populistischen Meinungen umgehen, ist eine große journalistische Herausforderung“, so Korenke. Sein Rat: „Wir sollten die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen und sie abbilden.“
Am Abend wurde es dann leichter – und doch nicht weniger pointiert: Bei der Veranstaltung „Brot und Spiele“ diskutierten Karl-Theodor zu Guttenberg und BVB-Geschäftsführer Carsten Cramer mit den Moderatoren Wolfram Kiwit (Chefredakteur Lensing Media) und Lea Thies (Leiterin Günter Holland Journalistenschule) über Journalismus, Sport und Politik – ein gelungener Ausklang mit Tischkicker-Duelleinlage (kleine Randnotiz: Borussia verlor 0:3 gegen Schalke…).
Die Premiere der AG Chefredaktionen war ein voller Erfolg: inspirierend, mutig, verbindend. Oder wie es Helmut Verdenhalven, Leiter Public Affairs beim BDZV, auf den Punkt brachte: „Wir lieben die Zeitung. Sie ist voller Demokratie.“