Joshua Schultheis und Nicholas Potter
Kurzbiographie der Nominierten in der Kategorie Thema des Jahres 2024
Joshua Schultheis, Jahrgang 1992, ist in Darmstadt aufgewachsen und hat in Berlin Philosophie, Germanistik und Erziehungswissenschaften studiert. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er ab 2019 in der Redaktion der Berliner Bildungszeitschrift (bbz), der Mitgliedszeitung der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft. 2022 folgte ein Volontariat bei der Jüdischen Allgemeinen. Dorthin kehrte er nach einer einjährigen Station als Hauptstadt-Korrespondent bei WEB.DE/GMX News im Juli 2024 als Redakteur zurück.
Nicholas Potter, Jahrgang 1990, wuchs nahe London auf. Dort hat er Germanistik studiert bevor er 2013 nach Berlin zog und dort seinen Master an der Humboldt-Universität absolvierte. Es folgten Praktika bei der taz und der Deutschen Welle. 2018 wurde er Theaterredakteur des englischsprachigen Stadtmagazins Exberliner (heute: The Berliner) und wechselte 2020 zu Belltower.News. Heute schreibt er als freier Journalist für Zeitungen wie die taz, Tagesspiegel, Haaretz und Jüdische Allgemeine.

Im Interview
Wie entstand die Idee zu Ihrem Beitrag und wie haben Sie recherchiert?
Nicholas Potter: Ich kann mich an die erste „Fridays for Future“-Demo erinnern, die ich als Journalist begleitet habe. Das war im Frühling 2019. Ich war schwer beeindruckt von der Energie und Kreativität der jungen Klimabewegung. Umso besorgter war ich, als zwei Jahre später im Namen dieser Bewegung immer wieder Social-Media-Beiträge geteilt wurden, die bestenfalls stark israelfeindlich, schlimmstenfalls schlicht antisemitisch sind. Für Belltower.News, die journalistische Plattform der Amadeu Antonio Stiftung, habe ich einen ersten Text zu dem Phänomen geschrieben. Ein weiterer Text von mir dazu folgte in der Jüdischen Allgemeinen. Durch Gespräche mit Aktivist*innen wurde mir klar: Die viel kritisierten Beiträge werden auch in der Bewegung selbst kontrovers diskutiert. Deshalb wollte ich mir mit einer längeren Recherche diese Dynamik anschauen: Wer spricht hier eigentlich genau und mit welcher Legitimation?
Joshua Schultheis: Ich habe Nicholas’ Arbeit zu Fridays for Future mit großem Interesse verfolgt und auch selbst über israelfeindliche und antisemitische Tendenzen in der Klimabewegung geschrieben. Für unser Stück über den Twitter-Account der internationalen FFF-Gruppe haben wir uns dann zusammengetan – ich als Redakteur der Jüdischen Allgemeinen, Nicholas als freier Autor. Der Grund für die Kooperation lag auf der Hand: Die Recherchen waren extrem aufwendig und wären allein schwer zu bewältigen gewesen. Über viele Wochen haben wir mit zahlreichen Aktivistinnen und Aktivisten von FFF gesprochen und so langsam Vertrauen aufgebaut. Als wir dann in den Besitz der Chatprotokolle von „Friday for Future International“ kamen, ging es an die Auswertung von über 1.200 Seiten. Es folgten weitere Gespräche und Konfrontationen, bis wir schließlich alles zusammen hatten, um mit dem Schreiben beginnen zu können. Mit der Resonanz auf den fertigen Artikel waren wir dann sehr zufrieden: Er löste eine große Debatte über Antisemitismus in der Klimabewegung aus.
Vor welchen Herausforderungen standen Sie dabei
Joshua Schultheis: Als wir anfingen, uns mit dem Thema zu beschäftigen, gab es noch keine Artikel zu dem Account „Fridays for Future International“. Man konnte nirgendwo nachlesen, wie die umstrittenen Twitter-Beiträge der Gruppe zustande kommen, für die stets die gesamte Bewegung verantwortlich gemacht wurde. Das bedeutete, dass wir mit unseren Recherchen bei Null beginnen mussten. Spätestens nach dem Hamas-Massaker am 7. Oktober zeigte sich dann auch, warum diese Arbeit relevant war: Während bei Fridays for Future der Streit um die Positionierung im Nahostkonflikt immer heftiger wurde, konnte unser Artikel ein wenig Licht ins Dunkel der inneren Dynamik der Bewegung werfen.
Nicholas Potter: Es war wichtig, erstmal das Vertrauen der jungen Klimaaktivist*innen zu gewinnen. Und das geschah nicht über Nacht. Unsere Recherche legt offen, dass nur eine Handvoll lautstarker Aktivist*innen mit klar israelfeindlicher Agenda andere Klimaaktivist*innen immer wieder einschüchtern. Das zeigen die Chatprotokolle ganz deutlich: Es kommt zu Beleidigungen, Diffamierungen, Bedrohungen. Und das in einer Bewegung, in der viele noch minderjährig sind. Wir sind deshalb sehr vorsichtig an die Recherche rangegangen. Hinzu kommt die Dramaturgie des Textes: Wie machen wir 1.200 A4-Seiten Chatprotokolle aus einer Telegramgruppe, die einen Twitter-Account koordiniert, für unsere Leser*innen verständlich und nachvollziehbar? Einen Chatverlauf voll mit Memes, Beleidigungen und ausschweifenden Diskussionen? Eigentlich hätten wir aufgrund der Länge der Protokolle gleich mehrere Artikel schreiben können.
Von wem und/oder wie wurden Sie dabei unterstützt?
Joshua Schultheis: Philipp Engel, heute Chefredakteur und damals Chef vom Dienst der Jüdischen Allgemeinen, hat unsere Arbeit von Anfang an unterstützend begleitet. Ihm war es genauso wichtig wie uns, dass wir diese Recherche machen konnten, die für eine kleine Zeitung wie die Jüdische Allgemeine etwas Besonderes war und ist.
Nicholas Potter: Joshua und ich sind ein gutes Team, insofern haben wir uns gegenseitig ständig unterstützt. Das ist wichtig bei so einer längeren, aufwendigen Recherche. Philipp Engel hat uns zudem viel Vertrauen geschenkt. Er hat uns die Freiheit gegeben, unsere Recherche so zu gestalten, wie wir wollten. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.
Was macht für Sie persönlich guten Journalismus aus?
Joshua Schultheis: Guter Journalismus heißt zuallererst, der Wirklichkeit so nahe wie möglich zu kommen. Die Suche nach der Wahrheit sollte der Kern jedes journalistischen Ethos sein. Direkt danach kommt dann der Anspruch, eine mitreißende Geschichte zu erzählen.
Nicholas Potter: Eine alte Binsenweisheit, die oft Albert Einstein zugeschrieben wird, lautet: Wenn man etwas nicht einfach erklären kann, hat man es selbst nicht verstanden. Unser Job als Journalist*innen besteht darin, unseren Leser*innen Komplexes verständlich und greifbar zu machen – auch wenn die Realität voller Grautöne ist. Für mich stehen die Leser*innen immer im Mittelpunkt, für die schreibe ich.
Was braucht ein herausragender Artikel?
Joshua Schultheis: Viel Arbeit.
Nicholas Potter: Und viel Leidenschaft für das Thema.
Was erwarten Sie von der Preisverleihung?
Joshua Schultheis: Glamour, Champagner und einen spannenden Wettbewerb. Möge der Beste gewinnen!
Nicholas Potter: Einen Abend, der den Journalismus feiert und würdigt. In Zeiten von zunehmender Pressefeindlichkeit, Desinformation und Kürzungen in der Branche ist das wichtiger denn je.