Man muss nicht immer ernst sein, um die Dinge ernst zu nehmen. Das ist ein Missverständnis, das sich hartnäckig hält. Die Fröhlichen müssen deshalb damit leben, dass ihre Worte als weniger durchdacht gelten. Es sei denn, sie trainieren sich den Frohsinn ab. Dazu raten Kommunikationsleute, die höchstens ein mildes Lächeln empfehlen. Denn in sozialen Netzwerken reagieren die Leute auf jeden etwas weiter geöffneten Mund mit: „Warum grinst die so blöd?“
In der Politik ist Heiterkeit besonders gefährlich. Vor einigen Jahren hat ein kurzer Lachanfall Armin Laschet die Karriere gekostet. Als er im Flutgebiet mit dem Landrat blödelte und eine Kamera genau diese Sekunde festhielt, nahm sein Wahlkampf großen Schaden. Der CDU-Mann hatte die Katastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz ernst genommen, aber das glaubte ihm nun keiner mehr. Er bat um Entschuldigung, aber es half nichts. Das Urteil war gefallen: Laschet kann Karneval, aber nicht Kanzler. Auf den letzten Metern wurde er von Olaf Scholz überholt, einem Mann ohne Lachgefahr.
In Deutschland herrscht gegenüber Frohsinn ein tief sitzendes Misstrauen. Wer sich beschwert, fällt nicht auf im Grundrauschen der schlechten Laune. Es gibt ja auch Tausende von Gründen: Es regnet zu viel oder zu wenig, die Bahn ist zu spät oder fällt aus, das Gehalt ist zu niedrig, die Steuern sind zu hoch, der Urlaub ist zu teuer, und in der Hotline des Arbeitsamts geht auch nach 25 Minuten niemand ans Telefon. Solche Gespräche können Abende füllen. Man übertrumpft sich gegenseitig mit den Schauergeschichten über die Zumutungen des Lebens. Sprachlich geht es oft ins Exzentrische. Kritik ist immer gleich Mobbing. Erzieherinnen warnen vor einer „Traumatisierung“ der Kinder, wenn die Eingewöhnungszeit in der Kita nicht volle acht Wochen dauert. Erschöpfung gibt es nicht mehr unterhalb von Burnout.
Es ist offenbar schwer, zufrieden zu sein. Wer nicht klagt, dass alles besser sein könnte, wirkt auf andere, als habe er sich schon aufgegeben.
Es ist offenbar schwer, zufrieden zu sein. Zufriedensein klingt nach Resignation. Wer nicht klagt, dass alles besser sein könnte, wirkt auf andere, als habe er sich schon aufgegeben.
Das heißt aber auch: Die Meckerei über die vielen Missstände im Land ist nicht so defätistisch, wie sie auf den ersten Blick scheint. Es kommt darin zum Ausdruck, wie groß die Erwartungen waren, die enttäuscht wurden. Das Jammern entsteht also aus einer Anspruchshaltung. Wer will sich schon damit abfinden, dass es sechs Monate dauert, um einen Termin beim Bürgeramt zu bekommen? Die Erwartungen sind ein Ansporn für alle, die Verantwortung tragen. Das Problem entsteht, wenn berechtigte Erwartungen sich zu maßlosen Ansprüchen auswachsen. Und das passiert oft.
Was man bekommt, wird als völlig selbstverständlich angesehen, das absolute Minimum. Dass es zum Beispiel in anderen europäischen Ländern weder Mutterschutz noch Elterngeld gibt, ist jenseits des Vorstellbaren. Politiker schrecken schon davor zurück, über Leistungskürzungen nur zu diskutieren. Das kostet nämlich Sympathien. Der Widerstand organisiert sich sofort, ein Fall wird aufgetischt, in dem die Konsequenzen wirklich übermäßig hart wären. Als mahnendes Beispiel gilt noch immer die Hartz-IV-Reform von 2005, um die uns andere Länder beneiden. Selbst Maßnahmen, die die Starken und nicht die Schwachen treffen, sind nur mit der Brechstange durchsetzbar, wie die Diskussion um die Einkommensgrenze für das Elterngeld zeigt.
Im Haushaltsstreit waren Kürzungen unausweichlich. Getroffen hat es die Bauern, die die Steuervorteile für den Agrardiesel verlieren. Sie trugen ihre Wut auf Treckern nach Berlin. „Weil Ideologie und Dummheit uns regieren, kann Landwirtschaft nicht funktionieren“, steht auf einem Schild. Auf mehreren anderen: „Die Ampel muss weg.“ Wer wütend ist, argumentiert nicht differenziert. Wer Existenzängste hat, den interessieren die Zwänge der Politiker nicht. „Muss weg“ kommt aus der Welt der sozialen Medien, es ist ein Hashtag, der ständig trendet. Algorithmen, die aggressive Nachrichten nach oben spülen, helfen mit. Fast alle Politiker mussten schon mal weg. Bei manchen, wie Außenministerin Annalena Baerbock, reicht es, wenn sie sich mal verhaspelt.
Der negative Blick und die Schlechtrederei sind nicht nur Ausdruck einer Stimmung, sie haben reale politische Folgen. Sie sind der Boden, auf dem die AfD gedeiht. Olaf Scholz hat sie die „Schlechte-Laune-Partei“ genannt. Auch Alice Weidel meint, dass den Bürgern „das Lachen gründlich vergangen“ sei, aber wegen der Politik der Ampel. Was wiederum bedeutet, dass die AfD bereitsteht, um den Schlechtgelaunten eine politische Heimat zu geben. Der Soziologe Steffen Mau hat die Partei kürzlich als „Marktführer bei den Polarisierungsunternehmern“ bezeichnet. Das Schwierige wird aufgebauscht, das Gelungene verächtlich gemacht. Das ist ihr Geschäftsmodell. Die Flüchtlingskrise hat die Partei groß gemacht, seither profitiert die AfD von jeder Verunsicherung.
Wenn mehr Frohsinn die Lösung ist, fragt sich, woher man ihn nehmen soll. Der Ukrainekrieg tobt mit unverminderter Brutalität, im Nahen Osten fließt das Blut, Juden auch in Deutschland müssen wieder Angst haben. Die Kommunen sind mit der hohen Zahl der Flüchtlinge überlastet, für das kommende Jahr sagen die Ökonomen eine Rezession voraus. Die Corona-Pandemie wirkt noch nach, vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Die Welt ist in einer ernsten Lage – aber war sie das nicht immer schon? Die Welt war ja schon im Jahr 1600 aus den Fugen, als Shakespeare seinen Hamlet diese Worte sagen ließ. Das Zitat scheint seither in jede Zeit zu passen, aber das Empfinden ist, dass es immer schlimmer wird. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat gerade ermittelt, dass nur 16 Prozent der Befragten glauben, in glücklichen Zeiten zu leben. 72 Prozent sehen sich in schwierigen Zeiten. Das ist der negativste Wert seit 1963, als die Frage das erste Mal gestellt wurde. Auf die Frage, ob die Zeiten heute oder früher unsicherer waren, stieg die Zahl derer, die die Gegenwart beklommen macht, zuletzt stark an. 2019 waren es 45 Prozent, 2022 schon 68 und nun, im Dezember, 76 Prozent.
Wer den Fernseher anmacht oder eine Zeitung aufschlägt, sieht Bilder von Krieg, Gewalt und Zerstörung. Liest vom ewigen Streit in der Ampel, Rassismus unter Polizisten, der Hungersnot im Jemen. Vielen Leuten ist das zu viel, manche können die Nachrichten nur noch ertragen, wenn sie mindestens mal ein Frühstück im Bauch haben. „Warum können Sie nicht auch mal über das berichten, das gut läuft in diesem Land?“, fragte kürzlich eine Leserin in einer Gesprächsrunde.
Die Dominanz der schlechten Nachrichten in den Medien heißt nicht, dass die Welt wirklich so schlecht ist. Der Soziologe Niklas Luhmann analysierte in der „Realität der Massenmedien“, wie Wirklichkeit durch die Medien konstruiert wird. Das klingt in Zeiten, in denen Medien unter dem
„Lügenpresse“-Verdacht stehen, provokanter als bei der Entstehung des Textes im Jahr 1994. Medien, so argumentiert Luhmann, können nur neue Informationen verarbeiten, weil das Bekannte aus der Perspektive der Massenmedien eine Nichtinformation ist. Was also gut und stabil weiterläuft, kommt nicht vor. Was schiefgeht, wird groß gezeigt. Dazu kommt: Debatten entstehen nur, wenn die Meinungen auseinandergehen. Wenn es nichts zu Nörgeln gibt, ist also nur eine kleine Meldung drin.
Im Streit um den Haushalt konnte man den Eindruck gewinnen, Deutschland sei ein armes Land. Wochenlang diskutieren die Ampelparteien, die Opposition und alle anderen, die ihre Meinung für relevant halten, darüber, wo gespart und gekürzt werden müsste.
Nur 16 Prozent der Deutschen glauben, in glücklichen Zeiten zu leben. Das ist der negativste Wert seit 1963. Schuld daran ist auch die Lust der Medien an schlechten Nachrichten.
Es kam gar nicht vor, wie viel wir uns leisten – und leisten können. Der Haushalt für das neue Jahr ist 445 Milliarden Euro schwer. Das ist nur ein bisschen weniger als im Vorjahr. Aber das Schicksal jedes Weniger ist, dass es als Vorbote des Untergangs gedeutet wird.
Robert Habeck tat nach dem Karlsruher Urteil zum Klima- und Transformationsfonds tagelang so, als stehe die gesamte deutsche Wirtschaft auf der Kippe. Völlig übertrieben, wie sich herausstellte. Einige Monate vor dem Urteil klang der Wirtschaftsminister noch dramatischer: Wenn das Geld nicht zur Verfügung stünde, wäre Deutschland wirtschaftspolitisch hart getroffen, sagte er damals, „wahrscheinlich so hart, dass wir das nicht bestehen werden“. Da kriegt man Angst. Und das ist nicht gut. Wirtschaft ist bekanntlich zur Hälfte Psychologie.
In der Politik ist es nicht so viel anders. Die Grünen hatten lange das Image der schlecht gelaunten Partei von „Dinkel und Dünkel“. Bis Robert Habeck im Frühjahr 2019 verkündete: „Schluss mit Nölen“. Die Grünen nannten ihr Grundsatzprogramm daraufhin „Veränderung in Zuversicht“. Es sei ihnen gelungen, auf die „helle Seite der Macht“ zu wechseln, so haben es Star-Trek-Freunde aus der politischen Konkurrenz beschrieben. Die Grünen wollten nicht mehr mit Untergangsszenarien Politik machen, sondern mit Optimismus. Ihr Höhenflug dauerte bis zum Frühsommer 2021, dann stolperte Baerbock im Wahlkampf. Sie erstarrte, setzte nicht mehr auf positive Botschaften, sondern auf die Angst vor der Apokalypse. Das stammt aus dem Instrumentenkasten der Gründungsgrünen. Es funktionierte nicht, für die Grünen war es ein freudloser Wahlabend. Aber darin liegt doch eine gute Nachricht: Die gute Laune triumphiert über die schlechte.
Wie das im Alltag geht, hat ein kleines Mädchen neulich bewiesen. Es fuhr mit dem Fahrrad auf vereister Straße, den Korb voller Kekstüten. Ein Auto kam entgegen, und plötzlich rutschte das Mädchen weg, fiel vom Rad, die Kekse fielen auf die Straße. Der Autofahrer konnte noch abbremsen, schrie: „Spinnst du? Mann, pass doch auf!“ Doch dann geschah etwas Ungewöhnliches. Das
Mädchen beantwortete nicht Unfreundlichkeit mit Unfreundlichkeit, wie wir es so oft tun. Es sagte nicht: „Pass doch selber auf.“ Oder: „Verpiss dich.“ Es fragte nur freundlich: „Warum schreien Sie so? Es ist doch nichts Schlimmes passiert.“ Und plötzlich tat dem Mann seine schlechte Laune leid.