"Wir gehen da hin, wo wir nicht sind”
Im Interview mit Joachim Schniepp, Leiter Marketing & Vertrieb beim Zeitungsverlag Waiblingen.
Mit Pop-up-Redaktionen hat der Zeitungsverlag Waiblingen einen innovativen Ansatz gefunden, um den Lokaljournalismus in Gemeinden zu stärken, in denen sie bislang nicht stationär vertreten war. Diese Strategie verbindet digitale Angebote mit persönlichem Kontakt. Das Ergebnis: Über 200 neue E-Paper-Abos und mehr als 1.000 Probeabos.

Wie schaffen die Pop-up-Redaktionen Nähe zu den Menschen vor Ort?
Das ist eigentlich ganz einfach: Wir gehen da hin, wo wir nicht sind. Das sind nicht Städte, an denen wir unsere Titel haben und mit Redaktionen vertreten sind, sondern kleinere Gemeinden drumherum, in denen wir noch nie stationär vertreten waren. Dort schauen wir uns nach Leerständen in guter Lage um und mieten uns da vier Wochen mit Redaktion und Marketing ein. In der Regel sind drei Arbeitsplätze eingerichtet. Das Ganze kommunizieren wir mittels Mailings in Form von Briefen und E-Mails, redaktionellen Beiträgen, Flyern, Anzeigen in den Amtsblättern an Leserinnen und Leser, aber auch an die Haushalte, die noch kein Abo bei uns haben. Die Bewerbung vor Ort erfolgt durch Schaufensterbeklebung und Beachflags. Zudem berichten wir direkt - und mit Verweis im Artikel darauf - aus den Pop-up-Redaktionen.

Der Rest kommt von allein: Die Kommunikation und der persönliche Kontakt sind auch nach Corona nicht auf dem Niveau wie zuvor. Dennoch zeigt sich, dass die Menschen neugierig bleiben: Sie schauen bei uns vorbei, wollen mit den Redakteuren und Redakteurinnen reden und ihre Geschichten aus dem Ort, über den Ort und die Menschen dort erzählen. Einige kommen auch nur vorbei, um zu sehen, wer über den Ort berichtet oder um einen Blumenstrauß als Dankeschön abzugeben. Lokale Berichterstattung und lokaler Verkauf müssen vor Ort stattfinden und nicht aus den “Elfenbeintürmen”.
Joachim SchnieppLokaljournalismus funktioniert nur, wenn wir dort sind, wo die Geschichten entstehen – nicht aus dem Elfenbeinturm heraus.
Welche Erfolge oder Erkenntnisse konntet ihr mit dem Projekt bisher erzielen?
Wir haben daraus zwei wichtige Erkenntnisse erzielt.
Erstens: Als Lokalzeitung müssen wir wieder zu den Leserinnen und Lesern gehen. Du musst dahin, wo sie zuhause sind - wo die Geschichten entstehen und stattfinden - dorthin, worüber wir berichten!
Zweitens: Das E-Paper ist ein erklärungsbedürftiges Produkt. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass alle Leserinnen und Leser das Produkt, den Nutzen und die Features mittels Anzeigen und Mailings verstehen. Wir müssen ihnen das Produkt zeigen und erklären – und zwar dort, wo sie wohnen. Dann funktionieren auch der Verkauf und die digitale Transformation. Bei bisher fünf durchgeführten Pop-up-Redaktionen haben wir über 200 neue E-Paper-Abonnements inklusive Samsung-Tablet über zwei Jahre verkaufen können. Zudem haben wir über 1.000 Bestellungen für Print- und E-Paper-Proben erhalten. Bei diesen testen wir verschiedene Preismodelle. Die Wandlungsquote von kostenlosen Proben in bezahlte Abos liegt aktuell zwischen 15 % und 20 %, je nach Angebot.
Joachim SchnieppAls Lokalzeitung müssen wir wieder zu den Leserinnen und Lesern gehen – dorthin, wo die Geschichten entstehen und das Leben stattfindet.

Welche neuen Ideen oder Weiterentwicklungen könntet ihr euch für die Pop-up-Redaktionen vorstellen?
Besser geht es immer! Das haben wir im Laufe des letzten Jahres gelernt. Wir wollen beispielsweise künftig auch immer die Werbevermarktung einbinden und die Location abends für ein Event für örtliche Werbekunden nutzen. Auch hier hat die persönliche Kommunikation nach Corona durch Homeoffice und digitale Kommunikation gelitten.
Welchen Ratschlag würdest Du anderen Medienhäusern geben, die ein ähnliches Projekt starten möchten?
Hierfür kann ich vier Tipps weitergeben:
- Lage, Lage, Lage: Für das Redaktionsbüro eignen sich am besten leerstehende Flächen in der Innenstadt, an denen auch möglichst viele Menschen vorbeikommen. Dabei macht es Sinn, die Gemeinde einzubinden. Sie kann Kontakte herstellen.
- Nicht am falschen Ende sparen: Lieber nicht beim günstigsten Angebot zugreifen, besser 200 bis 300 Euro Miete mehr hinlegen, damit das Projekt am Ende ein Erfolg wird.
- Keep it simple: Die Basics abdecken, der Rest kommt von selbst. Es braucht nicht viel Grundausstattung – einen Computer, einen mobilen Router, einen Schreibtisch und Stühle. Jeder Ort ist anders. Stellt sich beispielsweise heraus, dass es hallt, finden sich irgendwo Schallschutzwände, um nachzurüsten.
- Sucht Mitarbeitende, die für das Projekt brennen: Findet Redaktionsmitglieder und Vertriebsleute, die Freude an der Kommunikation haben. Dann gelingt es, dass die Menschen, die die Redaktionsräume betreten, mit einem Lächeln im Gesicht wieder rausspazieren.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Welche Innovation hat dich in der letzten Zeit begeistert?
KI! Ganz klar KI und was damit noch kommt und was wir daraus machen können.
Haben Sie Fragen oder möchten Sie sich mit Joachim Schniepp austauschen?